Lieber Thomas Sevcik
Sie wollen Streit? Können Sie haben! Ich habe mir lange überlegt ob ich meine Energie in diese Antwort investieren soll weil Ihr Text doch sehr einseitig geschrieben ist und mich teilweise sprachlos, aber vor allem wütend macht. Schweigen aber wäre faul. Sie mögen es mir jedoch verzeihen, dass meine Antwort erst eine Woche nach Ihrer Streitschrift kommt. Ich war von Montag bis Freitag damit beschäftigt, mehr zu leisten als meine männlichen Kollegen um mir auch ein Stück des Machtkuchens zu erobern und dabei habe ich mit grosser Wahrscheinlichkeit auch noch weniger verdient als meine männlichen Kollegen. Zum Verhandeln war ich zu faul oder mein Chef meinte, ich soll mich zuerst, zum x-ten Mal, beweisen. Kennen Sie ja sicher auch, oder doch nicht?
Ein männlicher Vier-Punkte Plan für die Schweizer Frauen
Jedenfalls erklärt einmal mehr ein privilegierter weisser Mann* uns Frauen*, wie die Welt funktioniert. Damit wir nicht selbst denken müssen, liefern Sie uns auch gleich einen Vier-Punkte-Plan dazu. Merci dafür. Ich fasse Ihren Plan gerne kurz für all die faulen Frauen* da draussen, die mit Overparenting beschäftigt oder mit ihren Freundinnen im Ausland shoppen waren, einfach weil sie können. (1) Setzt euch verbindliche Quoten in der Wirtschaft, (2) stellt mit privaten kostengünstigen, flächendeckenden Kitas und Tageseinrichtungen sicher, (3) bitte zahlt dem Staat das Studium zurück, wenn ihr dann faul zu Hause bleibt und (4) leistet ebenfalls Militärdienst.
Gleichberechtigung ist kein Frauenproblem
Herr Sevcik, in Ihrem ganzen Vier-Punkte Plan haben sie einen wichtigen Punkt vergessen, der mich an Ihrer Kompetenz bezüglich diesem Thema zweifeln lässt. Jetzt bitte gut aufpassen und stark bleiben: Gleichberechtigung ist kein Frauenproblem! Gleichberechtigung ist kein Frauenproblem! Gleichberechtigung ist kein Frauenproblem! Gleichberechtigung betrifft uns alle: Unzählige Studien zeigen, dass durch Gleichberechtigung alle gewinnen – wirtschaftlich und gesellschaftlich. Das Patriarchat in der Schweiz erlaubt uns Frauen* vieles, faul sein gehört für die meisten jedoch nicht dazu. The Privilege is not seen by the ones who have it…und das trifft offensichtlich auch auf Sie zu, Herr Sevic. Schon mal überlegt, dass Frauen* vielleicht gar nicht faul sind, aber der Kampf um Gleichberechtigung so ermüdend und frustrierend sein kann, dass es einfacher ist zu kapitulieren und den vermeintlich einfacheren Weg zu nehmen. Es schmerzt, sich immer wieder den Kopf an der gläsernen Decke anzuschlagen, es ist ermüdend trotz Topleistungen weniger zu verdienen und später bis nie befördert zu werden und sich dabei ständig den sexistischen Mist anhören zu müssen, und noch ermüdender ist es, trotz Vollzeittätigkeit die ganze Familie zu managen. Tatsache ist eben auch, dass es sehr wenige moderne wirtschaftlich rechnende Männer gibt und die sitzen sicher nicht im Topmanagement oder im Parlament in Bern. Tatsache ist auch, dass viele Schweizer Frauen* durch das System doch gezwungen werden das traditionelle Familienmodell zu verfolgen, weil viele Schweizer Männer dies auch genauso wollen. So muss er sich nicht darum kümmern um 18 Uhr die Kinder aus der Kita zu holen und kann ruhig noch seinem Networking nachgehen. Jemand muss halt doch auf die Kinder aufpassen und da die Frau meistens weniger verdient, macht es für moderne wirtschaftlich rechnende Schweizer Männer* mehr Sinn, wenn die Frau* zu Hause bleibt. Oder man erlaubt es ihr so als Hobby doch noch 40% zu arbeiten. Teilzeit ist eine Karrierefalle für Männer* und Frauen*, weil Männer* es so erfunden haben.
Erst der Anfang
Der Frauen*streik dieses Jahr war nur der Anfang. Frauen* verbünden sich endlich, um sich gegen die systembedingten Ungleichberechtigung zu wehren. Der Nationalrat besteht neu aus 42% Frauen*. Trotzdem wir der Wandel nur möglich sein, wenn Frauen* und Männer für mehr Gleichberechtigung kämpfen. Aber die Privilegien eines weissen alten Mannes zu geniessen ist halt schon auch sehr bequem (um nicht zu sagen, faul), das können Sie sicher bestätigen Herr Sevcik. Geniessen Sie die Privilegien noch so lange Sie sie haben, denn sobald wir Frauen im Kollektiv Ihren Vier-Punkte Plan umgesetzt haben, reicht Ihr polemischer Text wahrscheinlich nur noch für das Niveau eines Blick.
Meiner Erfahrung nach ist der Mann überzeugt von der Idee – oder nicht. Ihn dazu zu überzeugen braucht extrem viel…